Viele Monate hatte die Ampelkoalition über die Kindergrundsicherung gestritten. Kurz vor der Kabinettsklausur Ende August erzielte sie dann doch eine Einigung. Der SoVD begrüßt das Ende des öffentlich ausgetragenen Konfliktes, ist jedoch vom Ergebnis der Debatte enttäuscht: „Die geplanten 2,4 Milliarden Euro für 2025 reichen bei Weitem nicht. Das kann nur der Grundstein für eine Kindergrundsicherung von morgen sein!“, kommentiert SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier.
Um mehr Kinder aus der Armut zu holen, soll die Kindergrundsicherung bisherige Zahlungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder den Kinderzuschlag künftig bündeln. Mit dem sogenannten Kindergrundsicherungs-Check will man zudem Familien erreichen, die wegen Unkenntnis oder bürokratischer Hürden ihnen zustehende Gelder nicht abrufen.
Über das im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben hatte sich allerdings ein Dauerstreit zur Finanzierung entwickelt. Dabei ging es nicht allein um die Mittel für die Kindergrundsicherung, sondern auch um die Frage, ob der Staat darüber hinaus Geld für Leistungserhöhungen bereitstellen sollte. Während Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zunächst zwölf Milliarden Euro pro Jahr für die Gesamtfinanzierung veranschlagte und später von sieben Milliarden Euro sprach, wollte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nur zwei Milliarden Euro bereitstellen. Lindner äußerte zuletzt auch generelle Zweifel: Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die nach 2015 nach Deutschland eingewandert sind, so der Finanzminister. „Hilft man ihnen am besten dadurch, dass man den Eltern mehr Geld aufs Konto überweist?“, fragte Lindner am „Tag der offenen Tür der Bundesregierung“ wörtlich. Für die Äußerung erntete er viel Kritik.
Michaela Engelmeier: Betroffenen Familien schnell helfen
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW), sagte hierzu in einem Interview: „Keiner würde bezweifeln, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt die beste Methode ist, dass Eltern gut verdienen, damit ihre Kinder nicht in Armut leben.“ Dies sei ein längerer Prozess, betonte Fratzscher. Von Armut betroffene Kinder bräuchten aber jetzt Lösungen, nicht erst in einigen Jahren.
Erst eine Woche zuvor hatte das DIW gemeinsam mit der Diakonie Deutschland eine Studie zu den Folgen von Kinderarmut vorgestellt. Demnach haben armutsbetroffene Kinder unter anderem ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen, als Kinder aus ökonomisch bessergestellten Familien.
Auch SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier bezog deutlich Position zu den Einwürfen des Finanzministers kurz vor dem Einigungstermin: „Um Kinderarmut zu verhindern, brauchen wir zwei Hebel: Es muss mehr Geld in armutsbetroffenen Familien ankommen. Das muss möglichst schnell geschehen. Und natürlich muss man auch langfristig investieren: in die Infrastruktur, zum Beispiel in Kitas und Schulen.“ Es sei nicht gut, „die beiden Teile gegeneinander abzuwägen oder gar auszuspielen“. Mit ihrem Statement wurde Engelmeier unter anderem in der Bild-Zeitung zitiert.
Kinderarmut ist strukturelles Problem
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen tatsächlich einen Anstieg der Zahl ausländischer Kinder, die Hartz IV beziehungsweise heute Bürgergeld erhalten. Während es im Dezember 2010 noch etwa 305.000 Kinder waren, waren es zwölf Jahre später, im Dezember 2022, bereits rund 884.000. Nach Angaben der BA erhielten im März 2023 als größte Gruppe rund 275.500 ukrainische Kinder und Jugendliche Bürgergeld. Die zweitgrößte Gruppe waren Kinder und Jugendliche aus Syrien. Ukrainische Kriegsflüchtlinge erhalten – anders als Asylbewerber*innen – unmittelbar Zugang zum deutschen Sozialsystem. Das erklärt den sprunghaften Anstieg.
Die Bertelsmann Stiftung, die sich seit Langem mit dem Thema Kinderarmut beschäftigt, warnt allerdings davor, den statistischen Zusammenhang undifferenziert herzustellen. Auch vor 2015 habe es bereits einen Anstieg der Armut unter Kindern gegeben.
Im Januar hatte die Stiftung eine umfangreiche Studie zum Thema vorgelegt. Hier kommen die Wissenschaftler*innen zu dem Ergebnis, dass Kinderarmut in Deutschland seit Jahrzehnten vor allem ein strukturelles Problem, das nicht in erster Linie mit Zuwanderung zu tun hat.
SoVD begrüßt Entbürokratisierung
Von Kinderarmut betroffen sind demnach oft Alleinerziehende und Familien mit drei oder mehr Kindern. Vollzeitjobs, die eine Familie ernähren, seien aber kaum möglich, wenn immer noch 400.000 Kita-Plätze in Deutschland fehlten, so die Ergebnisse. Der SoVD vertritt die gleiche Auffassung und hat die im Zuge der Kindergrundsicherung geplanten Verbesserungen deshalb frühzeitig als wichtigen Schritt im Kampf gegen Kinderarmut und für mehr Chancengerechtigkeit unterstützt.
Positiv ist aus Verbandssicht die nun bei der Einigung in letzter Minute erzielte Entbürokratisierung zu bewerten. Auch dass Alleinerziehende – laut vorläufigem Referentenentwurf – künftig etwas besser gestellt werden sollen, ist ein erster, kleiner Fortschritt.
Weitere Schritte gefordert
Der SoVD bemängelt jedoch, dass für Normalverdiener*innen oder armutsbetroffene Familien nahezu keinerlei Fortentwicklung vorgesehen ist. Menschen knapp über der Grundsicherungsschwelle erhielten weiterhin nur 250 Euro, das heutige Kindergeld. Dass es keine grundsätzliche Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums und keine generellen Leistungserhöhungen geben soll, heißt deshalb aus Sicht des SoVD nichts anderes als: Armutsbetroffene Familien bleiben arm.
„Dieser Kompromiss ist noch keine echte Antwort auf die strukturelle Problematik von Kinder- und Familienarmut in Deutschland“, resümiert Michaela Engelmeier. „Der Gesetzgeber ist gefordert, weitere Schritte festzulegen, wie langfristig eine wirklich armutsfeste Kindergrundsicherung gelingen kann.“